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Kulturwissenschaftliche Fakultät – Fachgruppe Geschichte

Wirtschafts- und Sozialgeschichte – Prof. Dr. Jan-Otmar Hesse & Prof. Dr. Sebastian Teupe

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DFG-Forschungsprojekt „Wettbewerbsregulierung im Wirtschaftswunder“

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Auch hinsichtlich der Wettbewerbspolitik stand Deutschland nach 1945 an einer Weggabelung. Das Projekt untersucht, ob - und wenn ja - wie es den Alliierten gelang, die alte deutsche Kartelltradition zu überwinden.

Das Forschungsprojekt untersucht die Kartellrechtspraxis in der Zeit des deutschen "Wirtschaftswunders", um das Wechselspiel von rechtlichen Bestimmungen und unternehmerischen Praktiken vor dem Hintergrund der wettbewerbspolitischen Zäsur nach dem Ende des 2. Weltkriegs neu zu bewerten. Die Handlungsspielräume deutscher Unternehmen sind bisher historisch fast ausschließlich mit Blick auf das erst 1957 verabschiedete Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) betrachtet worden. Die durch Besatzungsrecht und Urteile deutscher Gerichte bestimmte Kartellrechtspraxis der unmittelbaren Nachkriegszeit ist nicht umfassend untersucht worden. Das Projekt schließt diese Forschungslücke unter Verfolgung einer dreifachen Zielsetzung.


Erstens leistet das Projekt einen empirischen Beitrag zum historischen Wechselverhältnis von Recht und Wirtschaft. Die von den Alliierten forcierte wettbewerbspolitische Zäsur stieß nicht nur in öffentlichen Protesten, sondern auch in den alltäglichen Praktiken der Unternehmen auf Widerstand. Die rechtlichen Konflikte zwangen die Gerichte zu einer Auslegung der alliierten Bestimmungen, die ihren Gehalt erst definierte. Das Projekt kann zeigen, dass es den deutschen Unternehmen teilweise gelang, ihre Argumente, Handlungen und Traditionen vor Gericht in zumindest solchen Bereichen durchzusetzen, die nicht durch ein eindeutiges per-se Verbot der Besatzer reguliert waren. Zudem macht es deutlich, dass die alliierte Dekartellierungspolitik keineswegs einheitlich oder auch nur klar bestimmt war. Vielmehr gab es sowohl zwischen den Besatzungsmächten als auch innerhalb der US-Militärregierung und Hohen Kommission unterschiedliche Ansätze. Dabei nahm der Einfluss der "Trustbuster" im Zeitverlauf ab, so dass nur vereinzelt Dekartellierungsmaßnahmen durchgeführt wurden.

Zweitens untersucht das Projekt die unterschiedlichen Sichtweisen der deutschen Richterschaft im Übergang zu einer modernen Marktwirtschaft. Während einzelne Landes- und Oberlandesgerichte in der Rechtsprechung zur vertikalen Preisbindung eine den US-amerikanischen Wettbewerbsnormen entsprechende Sichtweise annahmen, orientierten sich weite Teile der Richterschaft und insbesondere der BGH nach Möglichkeit an traditionellen deutschen Auslegungsgrundsätzen.

Drittens liefert das Projekt einen bisher nicht berücksichtigten Erklärungsansatz zu der Frage, welche Faktoren die konkrete Ausgestaltung des GWB bestimmten. Die historische Forschung hat vor allem den Einfluss der US-Amerikaner, die Rolle ökonomischer Ideen oder die Interessen der deutschen Schwerindustrie betrachtet. Das Projekt kann zeigen, dass sich aus dem Zusammenspiel von einer an neuen Gesetzen orientierten Rechtsprechung und einer durch das "Wirtschaftswunder" geprägten unternehmerischen Dynamik schon in den 1950er Jahren eine Kartellpraxis etablierte, welche die durch das GWB markierte Zäsur von 1957 kaum als Bruch erkennen lässt. Dabei spielte auch eine Rolle, dass es vor allem die "Verlierer" unter den Unternehmen waren, die an der alten Kartellpolitik festhielten.

Für das Projekt wurde eine Datenbank aus juristischen Fällen vor Inkrafttreten des GWB erstellt, die [hier] heruntergeladen werden kann.
Eine Beschreibung der Datenbank findet sich [hier].

  • Projektbearbeiter: Raphael Hennecke
  • Projektleitung: Prof. Dr. Sebastian Teupe

Link zur DFG-Projektseite (Projektnummer 388105383)


Verantwortlich für die Redaktion: Sevgi Feride Tunay

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