Druckansicht der Internetadresse:

Kulturwissenschaftliche Fakultät – Fachgruppe Geschichte

Wirtschafts- und Sozialgeschichte – Prof. Dr. Jan-Otmar Hesse

Seite drucken

Historical Tensions between International Business and National Taxation (Volkswagen-Förderung, 2022-2026)

Der Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte hat eine bedeutende Förderung durch die VolkswagenStiftung erhalten. Von April 2022 bis März 2026 ist der Lehrstuhl Gastgeber des internationalen Forschungsprojekts „Historical Tensions between International Business and National Taxation: A challenge for Europe Today“, das im Rahmen des Programms „Europa im Wandel“ der VolkswagenStiftung gefördert wird. Das Projekt ist als internationale Kooperation zwischen vier Universitäten aus vier verschiedenen Ländern sowie renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern angelegt:

Prof. Antonie Doležalová (Karls-Universität Prag, Tschechien),
Prof. Neil Forbes (Coventry University, Großbritannien),
Prof. Ben Wubs (Erasmus-Universität Rotterdam, Niederlande)
und Prof. Jan-Otmar Hesse (Universität Bayreuth, Deutschland).

Eine der größten Herausforderungen für europäische Staaten – insbesondere im Nachgang der COVID-19-Pandemie – besteht darin, ausreichende Steuereinnahmen im Kontext freier Kapitalbewegungen zu sichern. Die Besteuerung multinationaler Unternehmen (MNE) stellt dabei sowohl für die Nationalstaaten als auch für Europa insgesamt eine erhebliche Herausforderung dar. Die Europäische Union ist sich dieses Problems bewusst und hat in jüngster Zeit neue Institutionen geschaffen, um das Steuerverhalten multinationaler Unternehmen zu überwachen. Doch sowohl Politik als auch Wissenschaft stehen vor dem zentralen Problem mangelnder Datenverfügbarkeit – ein Hauptgrund dafür, dass dieses Phänomen bislang nur unzureichend erforscht ist. Eine Quantifizierung und statistische Analyse ist mit Daten, die definitionsgemäß intransparent sind, äußerst schwierig. Da der Austausch von Steuerberichten multinationaler Unternehmen erst im Jahr 2016 begann (bei Banken bereits 2014), wissen wir bislang nur wenig über die Entwicklung von Steuerstrategien und Steuerplanung dieser Unternehmen. In Ermangelung verlässlicher aktueller Daten kann nur die historische Forschung diese Lücke schließen. Denn der Konflikt zwischen nationaler Besteuerung und internationaler Geschäftstätigkeit ist kein neues Phänomen. Er ist nicht erst durch die institutionelle Struktur der EU entstanden, sondern prägt die europäische Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte bereits seit dem 19. Jahrhundert. Ziel ist es daher – aus wirtschafts- und unternehmenshistorischer Perspektive – die historische Dynamik dieses Interessenkonflikts zwischen Nationalstaaten und multinationalen Unternehmen in all ihrer Komplexität zu analysieren. Die methodische Strategie besteht darin, das Thema der Unternehmensbesteuerung und Steuervermeidung nicht auf der Makroebene von Staatsfinanzen und Statistik, sondern anhand konkreter Fallstudien zu untersuchen.

Das Forschungsteam untersucht die Geschichte der Besteuerung multinationaler Unternehmen (MNE) in Europa anhand historischer Fallstudien zu vier Konzernen: ARBED, BP, Škoda und Unilever. Alle vier Unternehmen betreiben Produktionsstätten in mehr als einem Land. Sie unterhielten jeweils besonders enge Beziehungen zu den Regierungen ihrer Herkunftsländer – sowohl aufgrund ihrer sozialen Netzwerke als auch wegen ihrer Größe und wirtschaftlichen Macht. In allen Fällen sind die Unternehmensarchive zugänglich, und auch die staatlichen Archive verfügen über weiteres zugängliches Quellenmaterial. Die Forschungsstrategie umfasst Archivarbeit, Oral History sowie eine vergleichende Analyse der Beziehungen zwischen den ausgewählten MNE und den jeweiligen Staaten. Dabei dienen fünf zentrale exogene Zäsuren als Vergleichsachsen: der Erste Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, der Zweite Weltkrieg, die Errichtung des Eisernen Vorhangs sowie dessen Fall. Politische Umbrüche sind Zeitpunkte, in denen sich Steuerregime neu justieren – und bieten damit ideale historische Experimentierräume, um nach gemeinsamen Entwicklungen und Transformationen über alle untersuchten Fälle hinweg zu suchen.

Unser Projekt wird politischen Entscheidungsträgern einen einzigartigen Einblick in die langfristige Geschichte von Konflikt und Kooperation zwischen multinationalen Unternehmen (MNE) und Nationalstaaten im Bereich der Unternehmensbesteuerung bieten. Es wird die Komplexität der vielschichtigen Interaktionen zwischen Staaten und MNE verdeutlichen und die langfristige Pfadabhängigkeit multinationaler Unternehmen sowie ihres globalen Netzwerks von Steuerexpert:innen herausarbeiten. Entscheidungsträger:innen werden – unter Berücksichtigung spezifischer historischer Kontexte – über die Wirksamkeit unterschiedlicher Maßnahmen und Strategien zur Vermittlung dieses Interessenkonflikts informiert. Wir sind überzeugt, dass die langfristige Entwicklung dieser institutionellen Strukturen der Interaktion maßgeblich zum andauernden Erfolg steuerlicher Strategien multinationaler Unternehmen beiträgt – und dass ein Verständnis dieses historischen Hintergrunds eine zentrale Voraussetzung für wirksame politische Maßnahmen im Rahmen der „European Challenge“ ist.

Weitere Informationen finden Sie auch in der VolkswagenStiftung-Datenbank hier.


Verantwortlich für die Redaktion: Prof. Dr. Jan-Otmar Hesse

Facebook Youtube-Kanal Instagram UBT-A